Erasmus-Grasser-Gymnasium                                                                  Gensbaur

Die Erfindung der Fotografie und die Kunst des 19. Jahrhunderts

Die technischen Mittel entfalten sich nach 1839 äußerst rasch und in ganz Europa explosionsartig. Hier können nur wesentliche Stationen genannt werden.

Das Verfahren der Kalotypie wird in ganz Europa rasch verfeinert:

Ab 1850 wird auf Glasplatten, die mit einer Albuminschicht (spezielle Ei-Emulsion) überzogen wurden, belichtet. Die Belichtungszeiten verkürzen sich dadurch stark.

Seit 1849 werden auch Glaspositive (Dias) für spezielle Dioramen oder Panoptikums (v.a. in den USA) hergestellt.

Mit der Erfindung des Kollodiums, eines transparenten Kunststoffs, 1846, der 1851 durch Frederic Scott Archer für Negative verwendet wird (Pannotypie), werden die Belichtungszeiten noch kürzer, giftige Dämpfe können so vermieden werden. Die Kombination eines Kollodium-Negativs, das sich als dünnes Häutchen abziehen läßt und auf schwarzes Papier (Positiv) oder auch auf Gegenstände übertragen läßt (Ambrotypie), mit einem Abzug auf Albuminpapier steht ab Mitte des Jahrhunderts ein bis 1900 übliches Verfahren zur Verfügung.

Reproduktion und Illustration werden von Anfang an als Voraussetzung der immensen kulturellen Bedeutung der neuen Erfindung erkannt.

Sofort wird nach Möglichkeiten der Vervielfältigung in Tiefdrucktechnik gesucht. Das Problem sind vor allem die Halbtöne.

Berres in Wien und Donné in Paris erfinden gleichzeitig Möglichkeiten der Ätzung in Silberplatten.

1854 stellt Paul Pretsch in Wien das Verfahren der Photogalvanographie vor, das er nach London mitnimmt.

1855 arbeitet in Paris A.Louis de Poitevin die sog. Tuschephotographie vor, bei der Photographien analog der Lithographie gedruckt werden können.

1856 wird das Verfahren durch Aufstäuben von Kohlestaub statt Silber wesentlich verbessert, da ein Verbleichen des Silbers so vermieden werden kann und Kreidezeichnungen optimal reproduziert werden können (Kohlephotographie). Die nicht belichteten, noch klebrigen Stellen der Platte nehmen Kohlestaub auf. Durch Erhitzen wird der Staub gefestigt und druckfähig gemacht.

1865/68 werden photographische Reproduktionsmöglichkeiten durch den Reliefdruck und den Lichtdruck weiter perfektioniert.

Entscheidend ist hier die Erfindung des Josef Albrecht (München), der die Eigenschaften des Runzelkorns der lichtempfindlichen Schicht als Rasterung für sein lithographisches Druckverfahren ausnutzt (Albrechtotypie).

1873 stellt William Willis das Verfahren der Platinographie vor, dessen Qualität die Bromsilberpapiere eigentlich übertraf. Aufgrund des Preisanstiegs für Platin nach 1918 geriet das Verfahren in Vergessenheit.

1878 erfindet der Prager Karl Klitsch das Verfahtren der Heliogravure, das analog zum Aquatintaverfahren den Reproduktionstiefdruck verbessert. Seine auch im Rotationsdruck vervielfältigbaren Klischees kombinieren den Lichtdruck Poitevins mit einer Rakeltiefdrucktechnik. Das Verfahren wird auch „Rembrandt- Intaglio print“ genannt.

Analog dazu erfindet der Leipziger Georg Meisenbach 1881 eine Möglichkeit Klischees für den Hochdruck anzufertigen, die sog. „Autotypie“. Ein Linienraster-Negativ wird auf ein transparentes Positiv montiert. Das so entstandene Negativ löst das Bild in ein Liniennetz auf. Die Platte kann so als Halbtonbild hochgeätzt werden.

Grundsätzlich gilt: wo ein Raster erkennbar ist, handelt es sich um eine Reproduktion

Noch im Jahre 1891 erscheint in einem wissenschaftlichen Aufsatz die Erfindung der Farbphotographie als „Stein der Weisen“. Die Autotypie kann jedoch als Grundlage für weitere Entwicklungen des 4-Farbendrucks gelten.

Die Entwicklung der Funktion der Photographie, erste bedeutende photographische Leistungen:

Was wäre, wenn unsere Welt ohne Photographie, eine „bildarme Welt“ geblieben wäre? (Koschatzky)

Die Daguerrotypie wurde rasch zu einer existenzgefährdenden Konkurrenz für Gravure, Lithographie, Genre- und Porträtmalerei.

„Niemals haben andererseits zuvor so viele Menschen die Möglichkeit besessen, ihre bildgestaltenden Fähigkeiten zu verwirklichen (Amateurfotografie!), es bleibe dahingestellt, ob das zum besseren Verständnis künstlerischer Leistungen oder zu noch mehr Mißverständnissen geführt hat.“ (Koschatzky)

In England entstehen rasch erste bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Kalotypie: Für ein gigantisches Gemälde des Malers Hills mit über 500 Porträts enstehen 1500 Aufnahmen durch Robert Adamson, die zu den Inkunabeln der Fotografie zählen.

In Paris nennt sich der Karikaturist Gaspar Felix Tournachon nach Eröffnung eines photographischen Ateliers 1853 „Nadar“ und wird zum erfolgreichen Porträtist der Pariser Gesellschaft. Sein Studio ist Treffpunkt vieler Maler. 1874 findet in einem Hinterstübchen seines Ateliers die berühmte erste Impressionistenausstellung statt, die zu einer Revolution in der Malerei führt.

André Disdéri, der Hoffotograf Napoleons III, erfindet eine Kamera, die 8 kleine ganzfigurige Porträtaufnahmen gleichzeitig macht. Mit seinen cartes de visite, die billiger sind als Porträtaufnahmen bei Nadar etc. und hoffähig sind, stürzt er die gesamte Konkurrenz in ein „Desaster“ (Nadar).

In London führt der schwedische Kunstmaler, der nach Romaufenthalten, bei denen er Alte Meister kopierte, 1853 auf die Photographie umgesattelt hatte den sog. „Pictorialismus“ ein. Mit Fotomontagen nach Entwurfszeichnungen fertigt er kunstvolle Genreszenen, sog. Lebende Bilder an, die er als Kunstwerke öffentlich ausstellt. Für Darwin erarbeitet er als Illustrationen eines seiner Werke physiognomische Studien. Kunst der Photographie wird so zu einer Nachahmung der Kunst der Malerei. 1856 veröffentlicht er einen Aufsatz über den „malerischen Effekt der Photographie“, in dem er das Wort Pictorialismus prägt und sich auch auf Robinson beruft.

Geprägt durch die Tradition der Grand Tour der Bildungsbürger werden derartige Reise- und Landschaftsphotographien zu einer zentralen Rolle der neuen Technik.

Die beiden Brüder Bisson, die zu den erfolgreichsten Proträtfotographen in Paris zählen, begleiten 1861 eine Expedition auf den Gipfel des Mont Blanc.

Expeditionen in fremde Länder  werden photographisch begleitet, aber auch Kriegsberichterstattungen entstehen ab etwa 1860. Roger Fenton begleitet die Engländer in königlichem Auftrag 1855 auf ihrem Krimfeldzug.

Die Porträts der Engländerin Julia Margaret Cameron werden erstmals 1865/70 auf Ausstellungen gleichwertig zu Exponaten der Malerei gezeigt und überregional bekannt.

Immer mehr übernimmt die Photographie die Rolle der Dokumentation der Weltkust. In Florenz dokumentieren die Brüder Alinari die Kunstwerke der Stadt vor 1900 derart, daß deren Fotos noch heute beliebte Sammlerobjekte sind. In München porträtiert der gelernte Lithograph Franz Hanfstaengl alles, was Rang und Namen hat und wird äußerst wohlhabend. Seine Söhne führen das Unternehmen fort und reproduzieren als erste die Werke der Alten Pinakothek für ein breiteres Publikum. Das Unternehmen besteht bis in unsere Tage.

Das Verhältnis der Fotografie zur Kunst

1839:  Delaroche: „ von diesem Augenblick an ist die Kunst tot“

„das Gerät schreibt nur ab, das Lebende, den Geist zu erfassen, ist dem Gerät fremd“

Jules Janin (1839): Nehmen Sie zur Kenntnis, daß auch, wenn das Licht arbeitet, der Mensch der Meister bleibt.“

A.Bazin: „die Malerei wurde von der Last kunstfremder Aufgaben gereinigt, die Kunst des Künstlerischen wegen, das eigentliche Ziel“ (l´art pour l`art). Künstler und Publikum gehen von nun an eigene Wege.

Abbild und allgemeines Verstehen trennen sich von Geist und elitärem Spiel

Roudolphe Töpfer verurteilt in einer Schrift aus dem Jahr 1841 die Photographie:

Das Foto folge dem Prinzip der Identität, sei ohne Seele, poetischem Wollen, ohne Kunst und Stil. Die Kunst entsteht aus dem Geist, der sich Zeichen, Symbole und Chiffren menschlichen Ausdrucks forme.

1862 ergeht ein Urteil in Paris, das der Photographie den Rang eines Kunstwerks, und daher schützenswertes geistiges Eigentums, zuerkennt. Dem Urteil ging ein heftiger öffentlicher Streit voraus.

Viele Maler bedienen sich bald des neuen Hilsfmittels Photographie:

Ingres verwendet ein Photo Nadars für sein Bild „Quelle“(1856)

Delacroix ist mit Nadar befreundet. Er bezeichnet die Photographie als Hilfsmittel gegen Irrtümer des Auges, als "„Spiegelung des Gegenstandes", eine Art „Dictionnaire“ oder auch „Berater“ des Malers. Streng verurteilt er die, die die Effekte der Photographie nur nachahmne. „Sie glauben der Natur näher zu sein, wenn sie sich bemühen die Photographie möglichst wenig zu verfälschen....Der Künstler wird zu einem Apparat, der von einem anderen Apparat geführt wird...In der Kunst aber leiste die Auswahl und Anordnung der Geist..., denn er beobachtet nicht alles, was sich dem Auge bietet."

Als Skizzenbuch dient die Photographie auch Rodin für seinen Balzac, Manet für den Stich Baudelaires, Courbet, Mucha, Lenbach und vielen anderen.

Degas fotografiert selbst Tänzerinnen

Corot erfindet das Verfahren der „cliches verres“ 1853-74, das wie ein Photogramm eine Art Lichtradierung ist. Auch Rousseau und Millet greifen das Verfahren interessiert auf.

Baudelaire schreibt 1859 in seinem Aufsatz „die Photographie und das moderne Publikum“:

„Malerei ist Poesie aus Farbe und Form. Das ist`s, was man die Musik eines Bildes nennen könnte.“ Er verurteilt den kunstfeindlichen Einfluß der neuen Technik auf den Geschmack des Publikums. Er nennt sich einen Verfechter der Phantasie und tritt entschieden gegen realistische Malerei und auch Photographie auf. Er nennt sie die „ Zuflucht aller gescheiterten Maler“. Sie führe zu einer Verarmung des künstlerischen Genies. ...“ es ist erschreckend zu beobachten, wie der Maler immer mehr Neigung zeigt, zu malen, was er sieht, und nicht, was er träumt.... Ich möchte die Dinge durch meinen Geist erleuchten und ihren Widerschein auf die anderen Geister abstrahlen“.

Disdéri hingegen schreibt: „die Photographie ist nicht mit der Malerei zu vermengen, sie ist wie jene eine darstellende Kunst, und hat auch wie jene ihre eigene Ästhetik“.