Seminar für Kunsterziehung am Erasmus-Grasser-Gymnasium, München Seminarleiter Martin Gensbaur
Wozu dienen Hospitationen zu Beginn der Ausbildung?
Jeder hat langjährige Referenzerfahrungen von Unterricht aus Schülersicht.
Als Referendar dreht sich die Perspektive erstmals um. Die Hörstunden zu
Beginn der Referendarausbildung sollen erste Kontakte zu Schülern und einzelnen
Klassen unterschiedlicher Altersstufen ermöglichen. Der Referendar erhält
erste Einblicke in die oft völlig unterschiedlichen Arten der Unterrichtsgestaltung
durch verschiedene Lehrerpersönlichkeiten (Unterrichtsformen, Lehrstile,
Schwerpunkte), die anschließend im Seminar diskutiert werden sollen. Auf
diesem Wege bekommt der Referendar Kriterien für die Auswahl von Klassen,
in denen er seine ersten Lehrversuche starten will. Klassen, die man selbst übernehmen
will, sollte man auch einmal über einen ganzen Vormittag in den verschiedenen
Fächern hospitieren.
Wie soll man hospitieren?
Der Referendar soll sich auf die Rolle des Beobachters beschränken, er kann
und soll dabei durchaus aktiv werden. Bestimmte Vorgänge im Unterricht bekommt
der Beobachter nur mit, wenn er zu einzelnen Schülern geht, sich etwas erklären
lässt, Fragen stellt. Eine systematische Beobachtung erfordert ein Mitschreiben
von Ereignissen. Die Anwesenheit von Beobachtern, noch dazu, wenn sie aktiv werden,
verändert die Unterrichtssituation für den Lehrer und die Klasse z.T.
erheblich. Deswegen muss der Hospitierende vor Beginn der Stunde da sein und sich
mit der nötigen Sensibilität im Unterricht bewegen. Bei mehreren Besuchern
einer Unterrichtsstunde kann eine Neigung entstehen, das Gesehene diskutieren
zu wollen, oder bei Leerlauf unterrichtsfremden Beschäftigungen nachzugehen.
Diskutieren wir bitte nach der Stunde im Seminar über das Gesehene! Problematisch
kann es sein, wenn der Hospitierende Augenzeuge von Schülerfehlverhalten
wird, das der Lehrer nicht mitbekommt, aber besser mitbekommen sollte. Greifen
Sie hier nicht disziplinierend in den fremden Unterricht ein. Ich würde mir
in so einem Fall den Namen des Schülers notieren und den Fall nach der Stunde
mit dem Lehrer besprechen. Der Schüler darf in keinem Fall den Eindruck erhalten,
dass der Beobachter sein Fehlverhalten billigt.
Worauf soll man seine Beobachtungen ausrichten?
Während den Schüler der Stoff einer Unterrichtsstunde interessieren
sollte, richtet sich das Interesse des Hospitierenden auf die Gestaltung von Unterricht.
Einige grundsätzliche Fragen stellen sich in jeder Stunde: passt der Stoff
zur Altersstufe, ist das Thema der Stunde für sie interessant? Wie macht
der Lehrer seinen Lehrstoff interessant, wie gelingt es ihm möglichst viele
Schüler zu motivieren? Wie bringt der Lehrer die Klasse zum Sprechen, zur
Mitarbeit? Wie gestaltet der Lehrer seine Präsentation und seinen Lehrvortrag
anschaulich und abwechslungsreich? Welchen Raum bekommt jeder Schüler zu
eigenständigem Erarbeiten des Lehrstoffs? Wie sichert der Lehrer den Lernerfolg?
Der Fragenkatalog kann natürlich erweitert werden. Die entscheidende Frage
nach jedem Unterricht wird sein, ob und was der Schüler in dieser Stunde
gelernt hat. Versuchen Sie Zeuge dieses Lernprozesses zu sein und versuchen Sie
aus Lehrersicht zu beurteilen, welche Voraussetzungen der Unterrichtende für
einen Lernprozess schafft!
Lehrerrolle: Beobachten Sie, wie frei sich der Lehrer im Raum bewegt, wann er
die Schüler anspricht, zu welchen Schülern er spricht, ob er die Schüler
namentlich kennt, sich ihnen zuwendet oder die Klasse eher anonym behandelt. Beobachten
Sie seine Körpersprache, wie er zur Klasse steht, seine Gestik, den wechselnden
Ausdruck in seiner Mimik. Versuchen Sie zu beurteilen, welche Rolle die Arbeitsmittel
spielen, wie der Lehrer, wie die Schüler mit der Zeit umgehen, wo und wann
Leerlauf entsteht, warum Unruhe oder Ruhe sich einstellt, wie Schüler auf
Aufforderungen, Anweisungen, Ermahnungen reagieren. Beobachten Sie, wie eine Aufgabe
gestellt wird, welche Fragen bei den Schülern auftauchen, welche Anweisungen,
Anregungen, Beispiele der Lehrer gibt, welche Medien er einsetzt und wie er sie
handhabt.
Schülerrolle: Beobachten Sie, welche Rolle die Sitzordnung der Schüler
spielt, wie sich die Schüler zueinander verhalten, worum sich ihre Gespräche
drehen, wie Streitereien entstehen, wie sie eskalieren, überlegen Sie sich,
wann Sie eingreifen würden. Beobachten Sie, welchen Überblick einzelne
Schüler über das Geschehen in ihrer Umgebung haben. Achten Sie auf den
Lärmpegel in einer Klasse, und versuchen Sie herauszufinden, durch welche
Größen er bestimmt ist, wie er sich automatisch reguliert oder wie
ihn der Lehrer beeinflusst. Überlegen Sie sich, was Sie tun würden,
um die Geräuschkulisse zu beeinflussen, wie viel Lärm Ihnen notwendig
oder tolerabel erscheint.